dtl Nobel Serifenlose Typen haben viele Namen: Man bezeichnet sie als Grotesk-, als lineare und als Skelettschriften; im englischsprachigen Raum heißen sie Sans Serif oder Gothic. Mit der Nobel gestaltete der Schriftentwerfer Sjoerd de Roos, der von 1877 bis 1962 lebte, einen bekannten niederländischen Repräsentanten dieser Schriftart, den die Lettergieterij Amsterdam (la) im Jahr 1929 herausgab. In den Niederlanden findet man praktisch keinen Grafiker der bleiernen Zeit, der diese Type nicht eingesetzt hat. Bis zum Ende der Bleisatzära besaß dort fast jede Akzidenz-setzerei eine oder mehrere Werke von De Roos. Er gilt als der erste niederländische Schriftentwerfer, der nach dem Tod von Johann Michael Fleischmann Berühmtheit erlangte.
Sjoerd de Roos gestaltete jedoch nicht nur Schriften, sondern arbeitete auch sehr erfolgreich als Typograf. Er zählt zu denjenigen, die die im 19.Jahrhundert vernachlässigte niederländische Typografie wieder auf den richtigen Weg brachten. So schreibt auch Matthieu Lommen: ‘De Roos hat zwei Meilensteine der niederlandischen Typografie errichtet: Er machte 1903 das erste moderne Buch und 1912 die erste moderne Schrift.’ Mit der ersten modernen Schrift meint Lommen die Hollandse Mediaeval, die der Designer für die Lettergieterij Amsterdam entwarf. In der Gießerei arbeitete De Roos von 1907 bis 1941 als Gestalter und ästhetischer Berater.
Für zeitgemäßes Design halten viele die Anwendung serifenloser Schriften, aber bereits die Griechen meißelten Zeichen in Stein, die sich als Serifenlose bezeichnen lassen. Rudolf Koch dienten griechische Schriftzeichen aus dem 4. Jahrhundert vor Christus als Vorbild fur die Versalien der Kabel, die er im Jahr 1927 entwarf. Eine Reihe der heutzutage benutzten serifenlosen Typen, zum Beispiel die Franklin Gothic, die News Gothic und die Monotype Grotesque, erinnern an die Grotesk-schriften des 19.Jahrhunderts. Die Akzidenz Grotesk stellt eine der fruhen Serifenlosen dar – ihren ersten Schnitt gab die firma Berthold bereits 1896 heraus. Den Ursprung der Serifenlosen des 19. Jahrhundertsvermutet man im Steindruck, well sich die Formen angeblich ohne großen Aufwand nachzeichnen lassen. Dieser Ansicht widersprechen allerdings viele Schriftgestalter, die aus eigener Erfahrung wissen, wie schwer es ist, eine Serifenlose zu zeichnen. Neue Formen entstehen wohl eher aus sich verändernden ästhetischen Auffassungen.
Die Typen der zwanziger und dreißiger jahre weisen im Vergleich zu der Akzidenz Grotesk einen viel geometrischeren Charakter auf. Dies trifft auch auf die Berthold Grotesk zu, die Sjoerd de Roos bei der Gestaltung der Nobel Modell stand. Der Fachautor M, H. Groenendaal aus den Niederlanden schreibt dazu: ‘Einen passenden Namen gab die Lettergieterij Amsterdam ihrer modernen serifenlosen Schrift: Nobel Antieke. Tatsächlich darf hier von einer noblen Form gesprochen werden. Verglichen mit den ihr vorangegangenen serifenlosen Typen (Erbar, Grotesk, Futura, Kabel) macht die Nobel einen strengen, regelmäßigen Eindruck.’ Eine der schonsten Kritiken bekam die Nobel 1951 von dem Architekten G. Knuttel. Er verglich die Schrift mit dem beruhmten Van-Nelle-Fabrikgebäude von 1929, das die Architekten Brinkman und van der Vlugt entwickelt hatten: ‘Der Zusammenhang mit der Nobel in Bestreben und Ausführung drängt sich hier auf. Das Grundprinzip der abstrakten Kunst, die ästhetische Wirkung ausschließlich aus den Proportionen herzuleiten – das heißt also aus der Spannung zwischen den formalen Elementen, die das Kunstwerk konstituieren –, fand in beiden Anwendung, und zwar in einer praktischen, nicht dem Kunstwerk als solchen gestellten Aufgabe.’ Knuttels Lob gilt vor allem der Tatsache, daß sowohl das Gebäude als auch die Schrift hohe formale Qualitäten aufweisen und zugleich äußerstfunktional sind. Im Laufe der Zeit adaptiertedie la die Nobel für verschiedene Technologien. Unter anderem entstanden Matrizen für die Zeilengußmaschinen der firma Intertype, Holzbuchstaben für den Plakatdruck und sogar Versionen für fotografische Headline-Satzsysteme. Letztere hielten sich nicht lange am Markt. Mit dem Ausklang des Bleisatzzeitalters ging auch vorläufig die Popularität der Nobel zu Ende. Die Wiederbelebung dieser Schrift, die durch ihre einst so weite Verbreitung die niederländische Typografie entschieden gepräg thatte, konnte aber nicht ausbleiben. Andrea Fuchs und Fred Smeijers begannen 1992 eine neue digitale Fassung der Nobel zu entwickeln, wobei der Produktion eine ausführliche Recherche voranging. Sie fragten sich, welche der bis dahin erschienenen Fassungen den Ausgangspunkt bilden sollte und ob sie sich eher von den Reinzeichnungen oder den gedruckten Versionen leiten lassen soilten. ‘Außerdem unterscheiden sich die Schriftformen in den verschiedenen Größen betrachtlich’, so die Designer. Bei den historischen Varianten der Nobel finden sich sowohl spitze Winkel als auch waagerechte Abschlüsse. Auf den konstruktivistischen Abschnitt der Geschichte der niederländischen Typografie zuruckblickend, erkannten die beiden, das spitze Winkel an Buchstaben wie A und V meist deutlich hervortreten, fast abstrahierend wirken und ihnen einen expressiven Ausdruck verleihen. Bei der Entwicklung der digitalen Nobel interpretierten Fuchs und Smeijers die spitzen Winkel als eine der unverzichtbaren Eigenheiten der Type und führten sie für alle Schnitte ein. Den letzten Feinschliff gab die Dutch Type Library der Nobel, nachdem die Designer 1993 ihre Arbeiten an der digitalen Version beendet hatten. Die Schrift zählt zum traditionsreichen Œuvre des Schriftenhauses und ist speziell beiden jungeren Gestaltern sehr beliebt. Auf diese Weise kommt sie nun auch in der zeitgenössischen nie-derländischen Typografie wieder zum Einsatz – die über 75 Jahre alte Type gehört eben nicht zum alten Eisen. |